(Für die Nicht-Techies: 1elf symbolisiert intensive Nutzung des Ausrufezeichens bei sehr emotionalen Aussagen, wenn man schnell und aufgeregt tippt.)
Dieses Thema hat die letzten Wochen einige Wellen geschlagen, deswegen haben wir für euch die wichtigsten Aspekte und Beiträge zusammengestellt.
Social Media Verbot in Australien
Los ging es Ende November mit der Meldung, dass es in Australien zukünftig ein Mindestalter für die Nutzung Sozialer Medien von 16 Jahren geben wird. Gemeint ist hier nicht eine einfach Altersempfehlung, sondern tatsächlich eine kontrollierte Beschränkung. Die Plattformen haben jetzt ein Jahr Zeit, „wirksame“ Alterskontrollen umzusetzen. https://www.tagesschau.de/ausland/ozeanien/australien-social-media-102.html
Smartphone-Verbot an Schulen
Nach dem australischen Beschluss ging in den Medien sehr schnell vieles durcheinander. Aus der Diskussion um ein Social Media Verbot wurde schnell der Ruf nach einem generellen Smartphone-Verbot, vor allem an Schulen. Was man unter einem „Smartphone-Verbot“ an Schulen versteht, wurde allerdings nie weiter beleuchtet. Deswegen hier ein Überblick über die aktuell gängigen Praktiken:
- Smartphone aus und in der Tasche während des Unterrichts: An den meisten Schulen, die wir kennen, ist es üblich, dass die Smartphones während des Unterrichts ausgeschaltet in der Tasche bleiben. Wie gut das in der Praxis klappt? Na ja, geht so aber zumindest ist die Regel eindeutig und so ein bisschen Regelverstoß gehört zum Erwachsenwerden einfach dazu.
- Smartphones werden während des Unterrichts weggeschlossen: Einige Schulen sind dazu übergegangen, die Smartphones während des Unterrichts wegzuschließen. Hier ein Beispiel einer Berner Schule: „Berner Schulen kämpfen gegen Handyobsession.“ https://www.derbund.ch/handyverbot-an-berner-schulen-so-wird-es-durchgesetzt-887741634354 Resonanz von allen Beteiligten: positiv.
- Smartphones aus während des Unterrichts aber in Pausen erlaubt: Kennen wir nur von einer Schule. Das Ergebnis: 90% der Kids hängen in der Pause am Smartphone. Bewegung, Spielen, direkte Kommunikation, Essen,… bleiben auf der Strecke
- Smartwatches im Schulmodus: An den Grundschulen sind häufiger Smartwatches ein Thema. Hier hat es sich etabliert, dass die Uhren von den Eltern in den „Schulmodus“ gestellt werden, d.h. man kann die Uhr während der Schule nur als Uhr nutzen. Erst nach Ende der Schule können die Kinder z.B. auf Kommunikationsfunktionen zugreifen.
- Smartphones dürfen nicht in die Schule mitgenommen werden: Wir kennen keine Schule, die das so handhabt. Das wäre für uns aber ein „echtes“ Handyverbot.
Die Resonanz auf den australischen Beschluss zeigt sich zum Beispiel im Beitrag „Debatte um Handyverbot an Schulen: Realschule in Eppingen zeigt, wie es geht“ (SWR) https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/heilbronn/handyverbot-an-schulen-110.html Leider zeigen einige Aussagen der Jugendlichen, dass das Smartphone ihr Denken und ihren Alltag doch bereits sehr vereinnahmt hat. Das können erste Warnzeichen für eine Abhängigkeit sein und sollte vom Umfeld ernst genommen werden. Wie geht es dem Kind, wenn es sein Handy mal zu Hause vergisst? Kann es im Urlaub auch mal ein paar Tage ohne Internet sein? Kreisen die Gedanken ständig um das Internet? Schule kann dann ein Ort sein, an dem man unter Beweis stellt, dass es eben auch noch ohne geht.
Vereinbarung statt Verbot
In einer Kleinstadt in Irland haben sich Schulen und Familien darauf verständigt, dass Smartphones erst ab der 7. Klasse genutzt werden – in der Schule UND zu Hause. Kein Verbot, sondern ein freiwillige Vereinbarung: https://www.heise.de/news/Irland-Kleinstadt-einigt-sich-auf-Smartphone-Absage-fuer-Grundschulkinder-9164164.html Im Beitrag von Logo kommen die Schülerinnen und Schüler selbst zu Wort und scheinen mit der Lösung auch zufrieden zu sein: https://www.zdf.de/kinder/logo/keine-smartphones-kinder-irland-100.html
Auch eine Grundschule in Hohentengen hat eine Vereinbarung mit den Eltern getroffen, den Kindern keine Smartphones und Smartwatches für die Schule zur Verfügung zu stellen: https://www.schwaebische.de/regional/sigmaringen/hohentengen/eltern-verpflichten-sich-freiwillig-kein-smartphone-in-der-grundschulzeit-2107574
An diesen beiden Beispielen wird deutlich, welchen großen Einfluss das soziale Umfeld beim Thema Mediennutzung hat. Die erste wichtige Erkenntnis: Wenn alle an einem Strang ziehen, erreicht man bei dem Thema mehr. Hohentengen macht es vor: am besten spricht man zum Start in Klasse 1 dieses Thema an und versucht, gemeinsam eine Vereinbarung zu treffen. Die Regeln sind klar, müssen in der Familie nicht weiter diskutiert werden und es nimmt Eltern die Sorge, ihr Kind könnte Nachteile davon haben, kein Smartphone zu haben oder etwas zu verpassen.
Ja, aber schadet das jetzt echt?
In der Diskussion um das Handyverbot geht es oft darum, dass es ja noch keine eindeutigen Belege für die Schädigung durch Smartphones gibt. Tatsächlich sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse dünn. Den aktuellen Forschungsstand fasst ganz aktuell der Podcast „Synapsen – Unkonzentriert und dumm?! Die Evidenz hinter der Smartphone-Angst“ zusammen: https://www.ardaudiothek.de/episode/synapsen-ein-wissenschaftspodcast/111-unkonzentriert-und-dumm-die-evidenz-hinter-der-smartphone-angst/ndr-info/13809877/ Im Beitrag wird deutlich, dass umfassende und aussagekräftige Studien vor allem durch die fehlende Datenbasis und das schwierige Studiendesign verhindert werden. Hofft man also auf erlösende Botschaften aus der Wissenschaft, wird man sich vermutlich noch etwas gedulden müssen. Bis dahin bleibt es Aufgabe der Eltern und des sozialen Umfelds, Kinder und Jugendliche zu beobachten, und bei negativen Anzeichen einzugreifen und zu unterstützen.
Was niemand von der Hand weisen kann: Sind Kinder am Smartphone, entgehen ihnen andere Dinge, die in ihrem Alter wichtig sind zu lernen: Motorik, Sprache, soziales Miteinander, Langeweile aushalten, eigene Beschäftigung suchen (https://www.dw.com/de/handys-als-spielzeug-st%C3%B6ren-die-entwicklung-von-kleinkindern/a-66601871).
Haltung von Forschenden, Fachkräften und Eltern
Anstatt die uneindeutige wissenschaftliche Lage zu akzeptieren, lassen sich viele Forschende dazu hinreißen, Empfehlungen basierend auf ihrem persönlichen Bauchgefühl zu geben. Da sind diejenigen, die schrill die Gefahren der Digitalisierung herbeirufen und vor jeglicher Nutzung warnen aber auch solche, die vollstes Verständnis für die intensive Nutzung digitaler Medien haben und sie deswegen auch den Kindern und Jugendlichen uneingeschränkt zugestehen wollen. Das sorgt zwar für Aufmerksamkeit in den Medien und bestätigt mache in ihrem eigenen Bauchgefühl, dem Großteil der Familien hilft es aber überhaupt nicht weiter, sondern verunsichert sie noch mehr.
Wann immer wir in Elternabenden sagen „Ihr müsst beobachten, ob es eurem Kind gut geht.“ geben wir den Eltern eine große Verantwortung mit. Das hat auch den unangenehmen Seiteneffekt, dass man sich in der Familie über die Mediennutzung auseinandersetzen muss, denn in aller Regel gibt es Anzeichen dafür, dass sich Kinder mit zu viel Mediennutzung nicht gut fühlen. Eltern erzählen uns regelmäßig, wie leid sie es sind, darüber mit ihren Kindern zu streiten. Traurige Wahrheit ist aber: es wird nicht ohne gehen und es wird euch begleiten, bis euer Kind erwachsen ist.
Oft verschärfen sich Konflikte dadurch, dass Eltern sich über ihre Haltung zu digitalen Medien nicht klar sind. Auf der einen Seite sehen sie die Risiken und sind besorgt, auf der anderen Seite möchten sie die Wünsche ihrer Kinder erfüllen und empfinden die digitale Welt selbst als etwas Bereicherndes. Und so neigen Eltern dazu, die Risiken zu verdrängen und die Kompetenzen ihrer Kinder überzubewerten (https://www.t-online.de/digital/aktuelles/id_100536376/onlinesicherheit-eltern-unterschaetzen-gefahren-fuer-kinder-im-internet.html). In Alltag zeigt sich dies an fehlenden oder unklaren Regeln oder fehlender Konsequenz bei der Durchsetzung bestehender Regeln. Diese unklare Situation führt zu noch mehr Konflikten, da sie Kinder dazu einlädt, den unklaren Raum selbst zu definieren. In aller Regel nicht im Sinne der Eltern. Deswegen ist es für Eltern wichtig, sich untereinander auszutauschen und gemeinsam zu einer klaren Haltung in Bezug auf digitale Medien zu finden.
Was tun?
Die Familie ist der Ort, an dem Medienerziehung beginnt. Das heißt, bevor es überhaupt um das Thema Handyverbot in der Schule geht, müssen Kinder im familiären Umfeld die grundlegende Nutzung digitaler Medien Schritt-für-Schritt begleitet lernen (ausführliche Tipps gibt es in unserem Ratgeber „Kinder im Netz begleiten“ https://wiki.mkteam.org/xwiki/bin/view/Ratgeber/Kinder%20im%20Netz%20begleiten/).
1. Tipp für Eltern: Begleitung
Lasst Kinder nicht allein ins Netz und bringt ihnen Schritt-für-Schritt bei, wie sie sich dort sicher bewegen. Wie sie Risiken erkennen und sie abwehren. Wie sie Chancen nutzen. Wie sie miteinander im Netz umgehen. Und nicht zuletzt natürlich auch, welche sozialen Regeln es für den digitalen Raum gibt. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass ich das Handy nicht benutze, wenn ich etwas Wichtiges anderes zu tun habe.
2. Tipp für Eltern: Beobachtung
Beobachtet, ob es eurem Kind so gut geht, wie ihr es für euer Kind wünscht. Wenn es eurem Kind rundum gut damit geht 10 Stunden am Tag zu zocken, warum nicht? Sind wir aber mal ehrlich, bei den meisten Kids bleibt bei dieser Nutzungsintensität etwas auf der Strecke: die Schule, die Freunde, die Familie, die Gesundheit, der Spaß. Das sind Anzeichen, dass es eurem Kind eben doch nicht uneingeschränkt gut geht und dann gilt es gemeinsam eine Lösung zu finden, diese Bereiche wieder in Balance zu bringen. Möglicherweise müsst auch ihr eure Gewohnheiten umstellen und z.B. beim Essen oder abends auch mal das Smartphone weglegen, um euch mit euren Kindern konzentriert und ungestört zu beschäftigen. Ungeteilte Aufmerksamkeit ist eines der größten Geschenke, die ihr euren Kindern machen könnt.
3. Tipp für Eltern: Regeln bis Selbstregulierung klappt
Selbstregulierung der Digitalnutzung ist nicht angeboren und kein Selbstläufer. Selbst viele Erwachsene bekommen das nicht hin. Kinder brauchen deswegen eure Leitlinien für die Nutzung, bis sie selbst in der Lage sind, die Nutzung selbst zu regulieren. Falls es euch schmerzt, euren Kindern die uneingeschränkte Digitalnutzung vorzuenthalten, empfehlen wir empfehlen Jesper Juuls kleines Buch „Nein aus Liebe“.
4. Tipp für Eltern: Dem Gruppenzwang widerstehen
Wie oft haben wir selbst als Kind den Spruch gehört „Wenn der aus dem Fenster spring, springst du dann hinterher?“ Problematischer Gruppenzwang war also schon immer ein Erziehungsthema. Heute müssen aber gerade wir Eltern uns vor Augen halten, wie wichtig es ist, das umzusetzen, was unser Bauch uns als richtig empfiehlt. Die meisten Eltern wissen, dass das Smartphone und Digitales für ihre Kinder Probleme bringen kann, sie beruhigen sich aber damit, dass es ja alle machen, und es dann nicht so schlimm sein kann. Doch, kann es.
5. Tipp für Erwachsene: Vorbild sein
Hier fassen wir uns alle mal kurz selbst an die Nase: Findet ihr, dass euer Medienkonsum OK ist oder geht er zu Lasten der Arbeit, der Freunde, der Familie, der Gesundheit oder des Spaßes? Wie oft beobachten euch Kinder und Jugendliche bei eurer Nutzung und sagen hinterher „Die Alten machen es ja auch nicht besser.“?
6. Tipp für Schulen: „dienstliche“ Nutzung“ lernen
Die Schule ist der Ort, an dem Kinder und Jugendliche lernen, dass es einen Unterschied zwischen privater und „dienstlicher“ Digitalnutzung gibt. Schulen müssen Kinder darauf vorbereiten, was im „dienstlichen“ Umfeld, also später im Berufsleben von ihnen erwartet wird. Es gibt immer mehr Erwachsene, die Probleme damit haben, sich am Arbeitsplatz auf ihre beruflichen Aufgaben zu konzentrieren, weil sie nebenbei privaten Dingen am Smartphone nachgehen. Sie riskieren damit im schlimmsten Fall ihren Job.
Fazit
Im Idealfall lernen Kinder bereits zu Hause, dass es Bereiche gibt, in denen private Smartphone-Nutzung OK ist, während es in anderen Bereichen eben nicht geht, wie zum Beispiel in der Schule.
Können die Kinder und Jugendlichen die Nutzung noch selbstständig steuern, kann die Smartphone-Nutzung über Vereinbarungen geregelt werden, wie z.B. Smartphones bleiben abgeschaltet in der Tasche.
Wenn freiwillige Vereinbarungen nicht eingehalten werden und es zu einer Beeinträchtigung des Miteinanders kommt, bleiben tatsächlich nur restriktivere Maßnahmen, wie zum Beispiel das Wegschließen von Smartphones.
Sind letztere Maßnahmen nötig, müssen wir uns aber eingestehen, dass unsere Medienerziehung nicht gelungen ist. Für Australien bedeutet es sogar, dass die Medienerziehung gescheitert ist. Der Staat bekämpft mit dem Social Media Verbot Symptome, an deren Ursache sich aber nichts ändert. Erst wenn wir Erwachsenen das Smartphone und Social Media in ihrer Bedeutung nicht mehr künstlich überhöhen, können auch unsere Kinder mit mehr Gelassenheit und Besonnenheit diese Dinge nutzen. Dann sind auch keine Verbote mehr nötig.
Bildquellen: https://www.pexels.com/de-de/foto/foto-von-leuten-die-nahe-tafel-stehen-3183175/