Wir sind auch dieses Jahr bei der Präventionswoche „Sucht in kleinen Dosen“ dabei. Vom 19. – 23. Februar finden täglich Workshops zur Prävention von Suchterkrankungen für Karlsruher Schulen statt. In unserem Workshop geht es um das Thema „Glücksspiel und Medien“. Für alle, die nicht dabei sein können, fassen wir hier die wichtigsten Inhalte zusammen.

Süchtig oder einfach nur fasziniert?

Bei digitalen Medien ist es für Laien häufig schwer, den Unterschied zwischen einer intensiven Nutzung und einem Suchtverhalten zu erkennen. Gerade von Eltern hören Kinder oft zu schnell den Vorwurf „Du bist ja süchtig nach deinem Smartphone/TikTok/Videospiel.“ Besser ist es, sich das Nutzungsverhalten gemeinsam genauer anzuschauen und sich über die als problematisch wahrgenommene Nutzung auszutauschen.

In unserem Workshop zeigen wir Jugendlichen, wie sie ihr eigenes Online-Verhalten und das ihrer Freundinnen und Freunde einordnen, um möglichst früh zu erkennen, wenn sich eine problematisch Nutzung entwickelt, um dann gegenzusteuern oder Hilfe zu suchen. Zu den Signalen und Anzeichen gehören:

  • Familie und Freunde beklagen sich, dass wir nicht mehr genug Zeit mit ihnen verbringen.
  • Wir geben Hobbys auf, um mehr online zu sein.
  • Die Schule oder unser Job leidet wegen unserer Nutzung. Wir kommen z.B. zu spät oder gar nicht. Wir erledigen unsere Aufgaben nicht mehr wie früher.
  • Unser Körper gibt uns Signale: Kopf- und Rückenbeschwerden, Schlafprobleme, Stress, negative Gefühle bei der Online-Nutzung.
  • Wir verlieren den Spaß und die Freude an der Online-Nutzung.
  • Wir vernachlässigen wichtige Bedürfnisse, wie Essen, Schlaf und Körperhygiene.

Am Anfang einer Sucht steht immer der Missbrauch eines Suchtmittels. Für digitale Angebote bedeutet das, dass wir sie nicht mehr zum Spaß nutzen oder um unsere Aufgaben zu erledigen. Stattdessen setzen wir sie dafür ein, um negative Gefühle zu unterdrücken, wie z.B. Stress, Minderwertigkeitsgefühle, Ärger, Frust oder auch Langeweile. Um ein problematisches Verhalten zu erkennen, ist es deswegen wichtig, sich anzuschauen, warum eine Person digitale Medien nutzt.

Eine Sucht führt immer zu einem Kontrollverlust. Auch daran kann man erkennen, wie schwerwiegend eine problematische Nutzung ist. Bin ich noch in der Lage, meinen Verpflichtungen im Alltag nachzukommen, gehe ich weiter meinen Hobbys nach und haben ich weiter soziale Kontakte, handelt es sich in der Regel eher um eine intensive Nutzung und nicht um eine Sucht. Sobald ich die Schule oder meine Arbeit vernachlässige, Aktivitäten einschränke, die ich früher gerne gemacht habe und mich sozial zurückziehe, um mehr Zeit mit Online-Medien zu verbringen, sind das eindeutige Warnsignale. Dann ist es an der Zeit, sich Hilfe zu suchen und gemeinsam mit einer Fachkraft das eigene Verhalten genauer zu betrachten. Wird ein problematisches Verhalten frühzeitig erkannt, kann man häufig mit einfachen Mitteln gegensteuern. Je länger das Verhalten anhält, desto schwieriger wird es.

Unser wichtigster Tipp ist deswegen: Wenn der Verdacht besteht, dass die Nutzung von Online-Medien problematisch ist, eine der Beratungsstellen oder Fachkräfte aufsuchen, um das Verhalten professionell einordnen zu lassen.

Kontrollverlust: Zeit

Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren verbringen durchschnittlich 3,7 Stunden pro Tag mit Onlinemedien (JIM Studie 2023, S. 24).

Sie schauen Filme, Serien und Videos, hören Podcasts, spielen, hören Musik, filmen und fotografieren, tauschen sich mit Freundinnen und Freunden aus, u.v.m. Die Nutzungszeit allein lässt aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten noch keinen Schluss darauf zu, ob jemand süchtig ist. Wir schauen mit den Schulklassen deswegen zunächst an, wie sie sich mit ihrer Mediennutzung fühlen und welche Signale sie zu ihrer Nutzung von außen bekommen.

Dauer der Nutzung messen

Um ein besseres Gefühl für die tatsächliche Nutzung zu bekommen, schauen wir uns verschiedene Möglichkeiten an, wie man auf Geräten und in Apps die Nutzungsdauer messen kann. Gerade in Social Media Apps und bei Videospielen verliert man leicht das Gefühl für die Zeit. Mit Hilfe der Messfunktionen bekommt man ein realistisches Bild der eigenen Nutzung:

Dauer der Nutzung beschränken

Gibt es Signale für eine problematische Nutzung oder fühlt man sich selbst nicht gut bei der Nutzung, gibt es einige einfache Möglichkeiten, die Nutzungszeit für sich selbst zu begrenzen. Man kann eine Erinnerung aktivieren oder die Apps nach einer bestimmten Zeit sperren lassen. Alle oben gezeigten Tools zur Messung der Online-Zeit bringen diese Funktionen mit. Darüber hinaus gibt es Apps, die uns dabei unterstützen, Apps nicht bei jeder Gelegenheit zu öffnen. Die App OneSec verzögert zum Beispiel das Öffnen einer App um einige Sekunden (https://one-sec.app/).

Hintergrund
Warum es uns so schwer fällt, digitale Geräte aus der Hand zu legen, zeigt dieser Beitrag: „So macht INSTAGRAM dich abhängig“, SoManyTabs, 2022.

Kontrollverlust: Geld

Aus einer Sucht folgen häufig finanzielle Probleme. Zum einen braucht man Geld, um das Suchtmittel zu beschaffen, zum anderen schaffen es Menschen nicht mehr, ihrer Arbeit nachzugehen und verlieren ihre Einkünfte. Ein zusätzliches Risiko in der digitalen Welt: Glücksspiel oder dem Glücksspiel ähnliche Angebote sind im Netz leichter zugänglich als außerhalb. Dabei hat sich nicht nur klassisches Glücksspiel ins Internet verlagert, sondern auch immer mehr digitale Angebote aus anderen Bereichen nutzen Glücksspielelemente, um die Nutzung zu intensivieren. Für Kinder und Jugendliche sind die Schutzmechanismen nicht ausreichend, so dass sie mit vielen Elementen konfrontiert werden, die ein suchtartiges Verhalten fördern können.

Hintergrund

Im Workshop besprechen wir diese Elemente mit den Jugendlichen, verdeutlichen die Risiken und ermöglichen ihnen so eine bewusste und kritische Nutzung.

In-App-Käufe und Lootboxen

Befragt wurden Familien in 5 europäischen Ländern. Die Mehrheit der Kinder (64 %) gibt durchschnittlich zwischen 1 und 20 € pro Monat aus. Im gesamten Durchschnitt geben Kinder und Jugendliche pro Monat 39 € aus. (Quelle)

In vielen Apps und Spielen kann man echtes Geld ausgeben, z.B. um Spielecharaktere zu verbessern oder zusätzliche Funktionen freizuschalten. Darüber hinaus gibt es so genannte „Lootboxen“, digitale Schatzkisten, die zufällige Preise enthalten. Lootboxen bekommt man in Videospielen zum Teil gratis, kann sie aber auch für echtes Geld kaufen. Der Zufallsfaktor erhöht die Anziehungskraft, vergleichbar dem klassischen Glücksspiel. Nicht selten geben Jugendliche mehrere hundert Euro pro Jahr für solche Angebote aus.

Im ARD-Beitrag „Glücksspiel für Kinder? – Wie FIFA & Co an Kids verdienen“ werden die Mechanismen genauer erläutert und Betroffene erzählen von ihren Erfahrungen. Als Ergänzung empfehlen wir folgende Beiträge:

Subs und Gifts

2023 schickten Zuschauer auf TikTok ihren Streaming-Kanälen 3,8 Milliarden US-Dollar (Quelle).

Relativ neu ist die Möglichkeit, in Sozialen Medien und Streaming Angeboten Geld für Abonnements und digitale Geschenke auszugeben. Genauen Zahlen, wie viel Geld Kinder und Jugendliche in Deutschland für diese Funktionen ausgeben, fehlen aktuell noch.

Verfolgt man Live-Streams, z.B. auf TikTok oder Twitch, kann man erahnen, welches Potenzial für die Anbietenden in diesem Bereich liegt. Die Funktionen sind so umgesetzt, dass ein hoher Gruppendruck entsteht. Meistens wird man im Stream namentlich erwähnt, wenn man etwas spendet, was den Anreiz weiter erhöht, da man sich als Teil der Welt der Influencer fühlt. Natürlich fördern auch die Kanalbetreibenden selbst diese Funktionen massiv, da sie an den Einkünften beteiligt sind. Viele Livestreams drehen sich um nichts anderes mehr, als Interaktionen und Spenden zu bekommen.

Kinder und Jugendliche identifizieren sich sehr stark mit Influencern auf Social Media, weswegen es ihnen umso schwerer fällt, solchen Spendenaufrufen nicht zu folgen. Hinzu kommt der große Wunsch, selbst Teil der Welt der Influencer zu werden (einen Einblick gibt der Film „Girl Gang“ aus dem Jahr 2022). Das Risiko von unkontrollierten Ausgaben ist hoch.

Screenshot TikTok

Einkaufen mit Spielelementen

Weil Spielelemente so gut funktionieren, um Nutzende online zu halten, setzen sie mittlerweile auch andere digitale Angebote ein, wie z.B. Shopping-Plattformen. Die App Temu hat sich in den vergangenen Monaten rasant verbreitet, was neben den niedrigen Preisen und dem aggressiven Marketing auch an den Gaming-Elementen liegt (Erklärung im Beitrag von funk ab Minute 3: „4 Gründe für den Siegeszug von Temu“). Für diesen Ansatz sind Kinder und Jugendliche besonders empfänglich, so dass auch hier das Risiko für eine unkontrollierte Nutzung und unkontrollierte Ausgaben hoch ist.

Temu Screenshot

Screenshot Temu App

Tipps für Eltern zur Begleitung der Nutzung

Es gibt für Eltern viele Möglichkeiten, die Smartphone-Nutzung ihrer Kinder durch Einstellungen und Tools zu begleiten und so z.B. die Nutzungszeit und Freigaben für App-Käufe und Nutzungszeiten zu steuern. Auf der Seite https://www.medien-kindersicher.de/ gibt es einfache Schritt-für-Schritt-Anleitungen für alle Geräte und Apps. Eine der wichtigsten Maßnahmen besteht darin, keine Bezahldaten in Apps und auf Geräten zu speichern, so dass Kinder und Jugendliche nicht unbegleitet Geld in digitalen Medien ausgeben können.

Wichtig ist, Verständnis für die Faszination digitaler Angebote zu haben und die digitale Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen zu respektieren. Das ermöglicht eine Begleitung auf Augenhöhe, mit der man Kinder und Jugendliche zu einem guten Umgang mit digitalen Medien befähigt. Viele Tipps zu einer guten Begleitung finden sich in unserem Wiki: https://wiki.mkteam.org/xwiki/bin/view/Ratgeber/Kinder%20im%20Netz%20begleiten/